Im April 2025 wurde im Plenum des Landtags der Antrag der Grünen Fraktion zum Thema "Weiterentwicklung der Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg" debattiert. Dabei durfte ich als Sprecherin für Demokratie und Bürgerbeteiligung meiner Fraktion eine Rede halten.
Quelle: Landtag von Baden-WürttembergEs gilt das gesprochene Wort:
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
auch wenn der vorliegende Antrag und die Beantwortung bereits über zwei Jahre zurückliegen, ist es gut, dass wir heute über den Stand der Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg diskutieren können, denn an Aktualität hat dieses Thema nichts eingebüßt. Als grüne Landtagsfraktion ist uns die Bürgerbeteiligung ein wichtiges Anliegen. 2011 wurde nach den Erfahrungen um die Stuttgart-21-Proteste die „Politik des Gehörtwerdens“ von der grün-geführten Landesregierung unter Ministerpräsident Kretschmann eingeführt und sie stellt einen echten Paradigmenwechsel dar, hin zu mehr Beteiligung, Bürgernähe und Offenheit!
Dass das wichtig ist, zeigt unsere Gegenwart. So glaubte laut dem repräsentativen Demokratie-Monitoring der Universität Hohenheim ein Viertel der Deutschen im Jahr 2024, dass Politik in Deutschland von „geheimen Mächten“ gesteuert und die Regierenden „das Volk betrügen“ würden. 23 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, „Demokratie führ[e] eher zu faulen Kompromissen als zu sachgerechten Entscheidungen.“ Und 12 Prozent waren sogar der Meinung, unser Land gleiche inzwischen mehr einer Diktatur als einer Demokratie!
Diese Zahlen müssen uns eine Mahnung sein. Denn Rechtspopulisten wie Trump oder die Rechtsextremen von der AfD leben davon, dass sie immer wieder dieselbe Geschichte erzählen, wonach ein angeblich einheitlicher Volkswillen von dem politischen Establishment oder der EU unterdrückt würde; wonach man nichts mehr sagen dürfe, es keine Freiheiten mehr gäbe und der Staat nicht mehr funktioniere. Ihr Ziel ist es, Vertrauen in staatliche Institutionen, in den Journalismus und in die Wissenschaft zu untergraben. Ihr Ziel ist es, Zweifel zu säen und Unsicherheit zu verbreiten, sodass immer unklarer wird, was wahr und gerechtfertigt ist.
Wie eine solche autoritäre Politik letztlich aussieht, erleben die Menschen nun in den USA, wo bereits in den ersten Wochen nach Amtsantritt von oben eine Politik der Erpressung und der Einschüchterung herrscht; eine Politik, die das Bildungsministerium zerschlagen und die nationale Geschichte umschreiben will; eine Politik, die die Forschungsfreiheit aufgekündigt hat, und eine Politik, die die Rechte und Sichtbarkeit von Minderheiten einschränkt.
So weit werden wir es hier nicht kommen lassen! Wir Demokratinnen und Demokraten werden Grundrechte, das gute Miteinander und die Demokratie in diesem Land mit allem, was wir haben, schützen!
Dies beinhaltet immer auch die Frage nach den zeitgemäßen Erfordernissen und der Weiterentwicklung der Demokratie und ihrer Instrumente. Ein solches Instrument ist die Bürgerbeteiligung. Dafür haben wir in Baden-Württemberg in den letzten Jahren viel getan: So haben 2015 die vier Fraktionen im Landtag gemeinsam die Hürden für Volksbegehren und Volksabtimmungen gesenkt und mit dem Volksantrag ein neues direktdemokratisches Instrument eingeführt.
Daneben haben wir eine Reihe von dialogischen Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen –
- etwa das Online-Beteiligungsportal, über das Bürgerinnen und Bürger Gesetzesentwürfe kommentieren können;
- das Netzwerk „Allianz für Beteiligung“, mit der zivilgesellschaftliche Akteure unterstützt werden;
- die „Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung“, die bei Kommunen und Verwaltung ansetzt, oder
- das Gesetz über die dialogische Bürgerbeteiligung – die Grundlage für Bürgerforen mit Zufallsbürgerinnen und -bürgern, die bei wichtigen Gesetzen der direkten und repräsentativen Demokratie vorangeschaltet werden.
Dabei werden über das Einwohnermelderegister per Losverfahren Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezogen und bei der endgültigen Auswahl wird – wie aus der Antwort der Landesregierung hervorgeht – auf eine gesellschaftliche Vielfalt geachtet, also dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über möglichst unterschiedliche Bildung, Alter, Herkunft und Familienstand verfügen. Damit soll erreicht werden, dass die Gruppe der Zufallsbürgerinnen und -bürger auch diejenigen berücksichtigt, die in klassischen Bürgerversammlungen, in den Debatten kommunaler Gremien oder in rein medialen Debatten weniger vertreten und leiser sind. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist gut so!
Bürgerforen schaffen in unserer individualisierten und medial zugespitzten Gesellschaft einen Raum, in dem ein politisches Thema aus verschiedenen Perspektiven unter Anhörung von Expert*innen, Verbänden und Betroffenen sachlich und in seiner Tiefe diskutiert werden kann. Dieser Raum schafft aber auch persönliche Begegnung und die Notwendigkeit, sich mit den Argumenten von anderen auseinander zu setzen, diese zu beratschlagen und anzuerkennen, dass – wie Hans-Georg Gadamer es formulierte – "der andere recht haben könnte"; etwas, das heute viel zu oft zu kurz kommt. Interessens- und Zielkonflikte können besser verstanden werden und somit auch der Umstand, dass politische Sachverhalte in der Regel eben nicht nur schwarz oder weiß, sondern vielschichtig sind, und dass es in einer Demokratie wichtig ist, Kompromisse zu finden. Somit können Bürgerforen auch das Verständnis für unsere parlamentarische Arbeit verbessern und die Akzeptanz der repräsentativen Demokratie insgesamt erhöhen.
Dafür ist jedoch wichtig, dass Legislative und Exekutive die Empfehlungen von Bürgerforen ernst nehmen. Ein gutes Beispiel ist der Beteiligungsprozess im Rahmen der G8/G9-Debatte in den letzten beiden Jahren: Dieser begann mit einer Themenlandkarte, die von verschiedensten Akteuren bearbeitet wurde, setzte sich fort in einem Online-Beteiligungsverfahren, bei dem 900 Kommentare eingingen und mündete im Bürgerforum G8/G9. Einige Empfehlungen aus dem Bürgerforum hat die Landesregierung übernommen, wie etwa der schrittweise und aufwachsende Aufbau von G9 sowie die Stärkung der Demokratiebildung und des MINT-Bereichs. Das Beispiel zeigt: das Einbringen wichtiger Aspekte durch Bürgerinnen und Bürger macht politische Entscheidungen besser und verleiht ihnen gerade bei strittigen Themen und emotionalen Debatten mehr Legitimität, nicht weniger.
Das bestätigt eine weitere Untersuchung der Universität Hohenheim aus dem Jahr 2021: Demnach war eine große Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden, mehr als im Bundesdurchschnitt. Und zwei Drittel der Befragten sprach sich für eine Demokratie aus, in der die gewählten Repräsentant*innen die politischen Entscheidungen treffen, die Bürger*innen zuvor jedoch angehört und ihre Empfehlungen Eingang in die politischen Überlegungen finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Politik des Gehörtwerdens haben wir auch die Beteiligung von jungen Menschen gestärkt. 16-Jährige haben bei den Kommunalwahlen das aktive und passive Wahlrecht, können Einwohneranträge mitunterzeichnen und werden im März 2026 zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes bei einer Landtagswahl wahlberechtigt sein. Das macht Politik erlebbar, stärkt ihr Demokratiebewusstsein und das ist heute wichtiger denn je!
Der vorliegende Antrag trägt den Titel „Weiterentwicklung der Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg“. Ich finde, es steht uns gut zu Gesicht, Kindern und Jugendlichen zukünftig ein noch stärkeres Gewicht in Bürgerforen zu geben und ihre Beteiligung auszubauen.
Vielen Dank.
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